Heute früh hatte ich mal wieder einen dieser Momente. 5.25 Uhr, gerade fertig angezogen war ich schon leicht gehetzt dabei, mit unserem Hund kurz Gassi zu gehen. Ich musste noch das eine oder andere vorbereiten, ehe ich um 6.20 Uhr den Großen wecken muss, um dann 10 Minuten später aufzubrechen. Der Morgen ist eng getaktet. Da erscheint mein 5 – Jähriger, seinen Kuscheldrachen im Arm und strahlt mich müde an: “Ich wollte mich gerade zu dir kuscheln!”

Ich habe schon angesetzt: “Ich muss aber doch Gassi gehen!” Ich war auf einmal tierisch genervt, weil ich an diesem Morgen sehr müde war und einfach keine Unterbrechung der Routine wollte. Der Blick des Kleinen verrutschte. Er hätte es schon akzeptiert, aber er war traurig.
Und ich dachte mir, was soll’s. Drei Minuten kann ich mich wirklich noch mit ihm hinlegen und kuscheln. Ich sah sein Gesicht aufleuchten und wir gingen gemeinsam noch einmal ins Bett.
Ich spürte seinen gar nicht mehr so kleinen Körper neben mir, hörte, wie er fast sofort wieder einschlief, seine kleinen Arme fest um mich gelegt. Ich roch, wie gut er nach meinem Kind duftet, spürte, wie weich seine Haare waren. Ein Moment des Friedens und des Glücks.
Drei Minuten von gestresst genervt hektisch mit zwei traurigen, genervten Menschen zu zwei entspannten Menschen, die ausgeglichen in den Tag starten können. Und das in drei Minuten.

Solche Situationen gibt es oft bei uns. Ich mache irgendwas und bin genervt, dass irgendein Kind an mir rumzuppelt und etwas will. Am Tag zuvor: Ich lege Wäsche zusammen, der Große hat eine Legoraumstation gebaut, auf die er mächtig stolz ist. Ich will ihn wegschicken, weil ich nicht unterbrechen mag. Schon gar nicht wegen so einem Pupskram wie Legobauten. Weil ich genervt bin, eigentlich Zeit für mich brauche und auch keine doofe Hausarbeit machen möchte, keine Lust habe, Kindersachen anzuschauen.
Er wird traurig sein. Für ihn ist es kein Pupskram, sondern megawichtig. Er wird seine tolle Raumstation vielleicht gar nicht mehr so toll finden. Er wird genervt sein, sich nicht wahrgenommen fühlen. Und ich fühle mich ohnehin gerade schlecht – das muss ich ja nicht an anderen auslassen.
Ich rufe ihn zurück, als ich den Schlafanzug fertig zusammengelegt habe, nehme seine Raumstation in die Hand und schaue sie mir richtig an, jeden Stein. Nehme wahr, wie viel Mühe er da hineingesteckt hat, wie viel Kreativität und Liebe zum Detail. Ich werde innerlich ruhiger. Frage, wie er auf die Idee gekommen ist. Was er am besten findet, wie lange er daran gebaut hat. Mein Kind strahlt. Ich bin auf einmal ruhig und gelassen. Sehe mein Kind heute wohl das erste Mal so richtig an. Es strahlt, bleibt und leistet mir beim Wäsche zusammenlegen Gesellschaft und hilft unaufgefordert mit.
Es waren keine drei Minuten, die den Unterschied gemacht haben. Innehalten, den anderen wahrnehmen, entspannt weiter machen.

Mir ist in den letzten Jahren bewusst geworden: Diese Momente, in denen mein Zeitplan durcheinander gerät, in denen ich völlig entnervt bin, weil ich noch 100 Dinge zu erledigen habe und in denen dann auch noch ein Kind kommt und nervt – das ist ihre Kindheit und mein Leben. Familie haben heißt viel Rumorganisiererei. Viele Bedürfnisse unter einen Hut bringen, viel Hausarbeit, viele unterschiedliche Termine. Man kann sich selten so viel Zeit nehmen, wie man möchte. Nicht für sich, nicht für die Kinder, nicht für den Partner. Dennoch – diese drei Minuten, die kann man fast immer irgendwie einbauen. Durchatmen, bei sich sein und bei seinem Gegenüber. Es geht nicht immer, und nicht immer muss man einem Kind sofort alle Aufmerksamkeit schenken. Das ist klar. Aber es geht doch viel öfter als man meint. Drei Minuten beim Kind (oder auch beim Partner) sein, es wahrnehmen, wahrnehmen was es tut, wie es etwas tut.
Es lohnt sich. Wirklich. Ganz eigennützig: Es tut mir gut. Es tut mir gut, die Menschen, die ich liebe, wahrzunehmen. Es bringt mich aus der Tretmühle. Es ist fast wie ein Zenmoment in den Mühlen des Alltags. Es kostet nur Überwindung in diesen Momenten. Es tut meinen Kindern gut: Sie fühlen sich wahrgenommen. Und wenn es wirklich nicht geht, dann können sie das akzeptieren. Denn sie wissen: das nächste mal oder wenn es ihnen wirklich wichtig ist, dann werden da wieder drei Minuten sein.
Mein Mann und ich haben da nie so drüber gesprochen, aber er macht es ganz ähnlich.Das ganze Familienklima ist in den letzten zwei Jahren viel angenehmer geworden. Und das Vorbild lohnt: Es ist deutlich seltener geworden, dass ich ein “gleeeiheeeich!” höre, wenn ich sie rufe. Diese drei Minuten sind wie Schmiermittel in unserem Familiengefüge.

 

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